Offizielle Leseproben aus den Büchern.
Silkaris Hoffnung – Prolog
Die plötzlich eintretende Stille weckte ein Gefühl in ihm, das der Lärm des Krieges niemals hätte wecken können: Angst. Er ging langsam, zog das rechte Bein unter Schmerzen nach und schleifte sein Schwert mit metallischem Summen hinter sich her. Das Atmen fiel ihm schwer und als sich Flüssigkeit in seinem Mund sammelte, schmeckte er Eisen. Ist das unser Ende? Das stolze Volk der Sadarkianer, ausgelöscht an einem einzigen Tag? Das prächtige Schloss war nur noch ein Schutthaufen, die Hauptstadt des Schlangenvolkes war in kürzester Zeit gefallen. Er war umgeben von Toten, nicht nur von Kriegern, sondern auch von Bediensteten, von Kaufleuten, von Edelmännern und ihren Damen in feinsten Gewändern. Hunderte leere Augenpaare schauten zu ihm auf, während er sich weiter vorankämpfte, bis zu den Stadttoren. Er sah die Fahne mit dem königlichen Wappen schon von weitem, zerrissen und verdreckt im Wind flattern.
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Seine Schwester lag unweit davon entfernt. Sie hatte die Augen halb geschlossen und den Arm nach dem Mann ausgestreckt, der ein Stück weiter auf dem Bauch lag und seinerseits den Arm nach ihr ausgestreckt hatte. Sie hatten sich nicht mehr erreicht. Saban stieß einen verzweifelten Laut aus, als er vor den leblosen Körpern seiner Königin und seines Königs auf die Knie fiel. Sie waren umgeben von fähigen Kriegern, doch keinem war es gelungen, sie oder sich selbst zu retten. Dies war keine Schlacht gewesen, sondern ein Gemetzel. Er konnte nichts mehr für sie tun. Leise flüsterte er ein Gebet, während er die Augen seiner Schwester schloss, ihren schlanken Körper dann aufhob und zu ihrem Gemahl trug. Er legte sie nebeneinander, Hand in Hand, so dass sie beinahe aussahen, als schliefen sie friedlich. Die Krone des Königs platzierte er direkt daneben und kurz schien ihn das Verlangen zu überwältigen, sich ebenfalls dazu zu legen. Doch er rappelte sich auf und humpelte weiter, schlug sich durch die zerstörte Stadt, blickte in jede Gasse und sah in jede Ecke. Seit vielen Jahren war Saban ein Krieger und er hatte sich immer für jemanden gehalten, der viel erdulden konnte. Der Tod war ihm nicht fremd. Doch der Anblick, der ihn jetzt erwartete, presste ihm die Luft aus den Lungen. Die Frau lag auf der Seite, die Peitsche, mit der sie gekämpft hatte, noch in der Hand. Ihr blondes Haar war blutverschmiert und bedeckte ihr Gesicht. Er konnte nicht sehen, ob sie noch atmete. Sie lag in einer Blutlache. Ihr Schlangenschwanz lag neben ihr, offensichtlich mit einem einzigen sauberen Schnitt abgetrennt. »Kay! Kay? Nicht du, Kay, nicht du!« Er erkannte seine eigene Stimme nicht mehr, als er immer wieder auf sie einredete, während er neben ihr auf die Knie fiel, sein Schwert achtlos beiseite warf und sie in seine Arme zog. Sein eigener Schlangenschwanz umschlang fest ihren unteren Rücken, um die Blutung zu stillen. Ein leiser Hauch entwich ihren Lippen und es dauerte einen Moment, bis Saban realisierte, dass seine Frau atmete. »Kay? Kayzope? Hörst du mich?« Als sie nicht antwortete, sah er auf und betrachtete die Zerstörung um sich herum. Die Luft roch nach Rauch, Asche und Tod. Ihre Feinde waren wie Heuschrecken über sie hergefallen und sie hatten ihnen erschreckend wenig entgegenzusetzen gehabt. Das übrige Land musste bald genauso aussehen, wenn es nicht bereits so weit war. Sein Blick fiel auf sein Schwert. Seine Familie war tot, seine Welt zerstört, seine Frau lag in seinen Armen im Sterben. Er drückte sie fest an sich und schloss die Augen. Vielleicht war es nur ein Traum? Der schlimmste Albtraum, den er jemals hatte? Ein Licht drang durch seine geschlossenen Lider und er blickte auf. Eine Säule aus Licht baute sich im Himmel über ihm auf, ein warmes, goldenes Licht, das langsam gen Boden sank. Die Säule wurde immer breiter und breiter und erhellte das gesamte Schlachtfeld. Sie erinnerte Saban vage an ein weit geöffnetes Tor. Ist das möglich? Ein hohes melodisches Heulen, das ihm gleichzeitig furchterregend und wunderschön erschien, ertönte aus dem Licht. Dann sah er die riesigen Flügel, nur einen kurzen Moment, bevor das Tor in sich zusammenbrach und das Wesen davonflog. Er hatte es nicht deutlich gesehen, doch er wusste, was es war. Ein goldenes Tor. Ein goldener Drache. Phobos. Der Anblick hatte Saban einen unerklärlichen Energieschub verpasst und er erhob sich, seine Frau immer noch fest in seinen Armen haltend. Humpelnd schleppte er sich wieder zum Stadtrand durch, versuchte zu sehen, was in der Ferne vor sich ging. Er hörte ein Knacken hinter sich und warf einen Blick über die Schulter. Ein junger sadarkianischer Krieger mit augenscheinlich gebrochenem Arm und einer blutenden Kopfwunde kämpfte sich aus den Überresten eines Hauses. Dann zog er ein Mädchen hinter sich aus dem Schutt. Als er den Oberkommandanten erkannte, starrte er ihn stumm an, doch auch Saban fand keine Worte. In der Ferne waren noch immer die dunklen Wolken und schwarzen Blitze zu sehen, doch sie wurden von dem goldenen Drachen mehr und mehr verdrängt. Phobos, das Tor der Gegenwart. Es musste im letzten Moment entschieden haben, Sadark, die Welt des Schlangenvolkes, nicht seinem unausweichlichen Ende zu überlassen und persönlich einzugreifen. Das melodische Heulen füllte seinen geschwächten Körper mit neuem Leben, dämpfte den Schmerz aus seinen Wunden. Die dunklen Wolken waren verschwunden und der Drache bewegte sich mit ausladenden Flügelschlägen elegant durch die Luft, als erneut das Tor aus goldenem Licht erschien. Doch dieses Mal tauchte noch eines daneben auf. Das zweite Tor war weniger eine Säule, mehr eine Art leuchtende Kugel mit einem Durchgang. Saban kannte es gut. Die Tore zwischen den Welten sahen so aus. Doch wohin würde dieses Tor ihn führen? Welche anderen Welten waren dem Angriff noch ausgesetzt gewesen? Insgesamt gab es acht Welten, bevölkert von acht unterschiedlichen Völkern. Zusammen nannte man ihre Bewohner die Wappet. Die Sadarkianer waren ein Kriegervolk. Wenn sie den Feind nicht besiegen konnten, gab es wenige andere Völker, die eine Chance hätten. Die Xakyrer vielleicht, die telekinetische Fähigkeiten hatten, oder die feuerbeherrschenden Youjonas. Zweifellos unterlegen wären ihnen die Naturvölker des Wassers und des Waldes. Peero wäre vielleicht in der Lage gewesen, den Feinden standzuhalten, hätten seine Bewohner nicht erst vor einem Jahr eine geschichtsträchtige Niederlage gegen Sadark hinnehmen müssen. Die Peeroianer waren zweifellos noch immer geschwächt und ihr neuer König konnte unmöglich auf so einen Angriff vorbereitet gewesen sein. Doch Saban blieb ohnehin keine Wahl. Er presste seine Frau an sich und humpelte auf das Tor zu, so schnell ihn seine verletzten Beine trugen. Aus den Augenwinkeln sah er einige Überlebende, die es ihm gleichtaten. Er spürte die Wärme des Lichtes, wurde kurz davon geblendet und nur wenige Schritte später stand er auf der anderen Seite – inmitten einer ständig wachsenden Menge aus Wappet. Immer mehr erschienen um ihn herum, etliche von ihnen schwer verwundet, viele weinten oder schrien die Namen ihrer Angehörigen, die sie nicht finden konnten. Er erkannte die unterschiedlichsten Völker und weitere Lichtkugeln in der Ferne, weitere Tore, die zwischen den Welten geöffnet wurden und die Überlebenden an diesem Ort zusammenbrachten. Ein Aufschrei ging durch die Menge, als ein silberner Drache über ihre Köpfe hinwegflog. In der Ferne sah Saban bereits einen roten Drachen seine Kreise ziehen. Liguan und Hochun sind ebenfalls hier! Die drei Tore haben sich vereint, um uns zu retten. Kayzopes Atem wurde flacher. Sie brauchten Hilfe, und zwar sofort. Rücksichtslos kämpfte er sich durch die Menge, folgte den Drachen, die drei Säulen aus Licht umkreisten, die auf einem kleinen Hügel erschienen waren. Als er den Hügel erreichte, sah er die Frauen. Es waren drei, mit weißen Gewändern, silbernem Haar und einer unübersehbaren Ähnlichkeit zueinander, die regungslos auf dem Hügel standen und die Überlebenden beobachteten. Bei jeder von ihnen konnte er ein Leuchten mitten auf der Brust erkennen. Saban wusste, was das bedeutete. Er war in der Lehre der Tore unterrichtet worden und kannte die Legenden über die Torträger. Seit Jahrzehnten hatte es keinen bestätigten Torträger mehr gegeben, zumindest hatte sich keiner offenbart. War es überhaupt möglich, dass alle drei aus demselben Volk stammten? Sogar aus derselben Familie, wenn er sich nicht irrte? Er konnte sich nicht erinnern, dass jemals ein ähnlicher Fall überliefert worden war. Die Frau, die in der Mitte stand, schien die Älteste zu sein. Sie hatte einen entschlossenen Ausdruck in den Augen, stand kerzengerade und strahlte eine wohltuende Zuversicht aus. Saban warf sich vor ihr auf die Knie. »Bitte«, flüsterte er. »Meine Frau. Sie ist schwanger.« Sie starrte ihn mit leuchtend grünen Augen an und ging langsam vor ihm auf die Knie. Dabei legte sie eine Hand auf Kayzopes Stirn und lächelte. »Sei unbesorgt«, sagte sie ruhig. »Ihr seid jetzt in Sicherheit. Ihr seid auf Silkari.«
Silkaris Hoffnung – Leseprobe aus Kapitel 1
[...] Ein jeder, der den Silbernen Palast von außen sah, war sofort hingerissen und fasziniert von seiner Schönheit, seinen reich verzierten Mauern und Säulen, umrandet von einem märchenhaften Garten. Einst von den Silkari als Tempel für die drei Tore erbaut, war er nach dem Jahr null, dem Ende des Großen Krieges, um mehrere imposante Hallen und zwei prächtige Türme erweitert worden. Die Tempelstätten wurden etwas weiter abseits, hinter dem Schlossgarten, neu errichtet und nach der Schlacht vor vierzehn Jahren war noch eine Gedenkstätte hinzugekommen. Die Bewohner der Silbernen Stadt waren stolz auf das kunstvolle Bauwerk, das sowohl tagsüber als auch nachts einen leichten Schimmer auf die Dächer der Stadt warf. Das zauberhafte Gebäude war ein Symbol für den Neuanfang, für die Gnade der Tore und die Stärke der königlichen Familie.
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Nefertina war sich inzwischen sicher, jeden Gang, jede Stufe und jeden Stein in diesem Schloss zu kennen. Oft genug war sie durch diese Gänge spaziert, oft genug hatte sie an den Tempelstätten gebetet, zahlreiche Bücher über die Architektur und das Erbe der silkarischen Bauweise gelesen. Sie schlich eng an der Mauer entlang, duckte sich bei den Fenstern der Bedienstetenzimmer und erreichte schließlich den hinteren Teil des Schlossgartens, wo sie bereits erwartet wurde. Lady Lily war die Tochter einer hochangesehenen Pflanzenmagierin am Hof. Trotzdem hatte Nefertina bis vor wenigen Wochen kaum ein Wort mit der schwarzhaarigen Velanerin gewechselt. Sie war daher äußerst überrascht gewesen, als Lily sie bei ihrem kürzlichen Besuch in der Stadt vor ihrer Kutsche abgefangen und ihrer Kindheitsfreundin vorgestellt hatte. Die kurze Unterhaltung hatte dazu geführt, dass die beiden Freundinnen sich wenige Tage später vor den Palasttoren aufgebaut hatten und glaubhaft versichern konnten, von der Prinzessin erwartet zu werden. Seitdem besuchten sie Nefertina fast täglich. Mit überschlagenen Beinen saß Lily am Rand des großen Brunnens und zwirbelte eine ihrer breiten Locken um den Finger. Die Blumen im Beet neben ihr reagierten auf die bloße Anwesenheit der Velanerin mit erhobenen Köpfen und strahlenden Farben. Sie lachte über eine Bemerkung der etwa gleichaltrigen, aber etwas größeren Frau, die mit verschränkten Armen neben ihr stand und deren strenger Blick sich sofort aufhellte, als sie Nefertina erkannte. »Du hast es geschafft!«, sagte Garuda lächelnd zur Begrüßung. Sie sah ein wenig beeindruckt aus. »Garuda hat dir das nicht zugetraut«, bestätigte Lily diesen Eindruck. »Aber ich wusste, dass du kommst.« Ihre Freundin warf ihr dafür einen finsteren Blick zu. »Ich hatte nur befürchtet, die Palastwache könnte sie aufhalten.« »Das könnten sie immer noch«, sagte Nefertina leise und warf einen nervösen Blick über die Schulter. »Du siehst müde aus«, stellte Garuda fest. »Hast du nicht gut geschlafen?« Bevor Nefertina antworten konnte, hatte Lily sich erhoben und hakte sich an ihrem Arm ein. »Sicher hast du wieder bis spät in der Nacht in der Bibliothek gesessen, habe ich Recht? Müsstest du nicht langsam jedes einzelne Buch dort unten auswendig kennen?« Nefertina schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Es gibt immer noch viele Schriften, die ich mir ansehen muss. Es ist meine Pflicht, über alle Völker Bescheid zu wissen, sie zu verstehen, ihre Traditionen, ihre Art zu leben …« »Du könntest all das lernen, indem du dich mit den Wappet unterhältst. Die wenigsten sind auf Silkari geboren worden, es gibt mehr als genug Überlebende, die dir von den alten Welten berichten können«, bemerkte Garuda. »Es kann aber nicht schaden. Hätte die Schneiderstochter gewusst, wie aufbrausend die Youjonas sind, hätte sie sich vielleicht nicht mit dir angelegt und du hättest ihr neues Kleid nicht verbrannt.« Lily konnte das Kichern nicht unterdrücken. »Sie hat die Arbeiten ihrer Mutter ausgeliefert und dann mehr Silber dafür verlangt, als vereinbart war, um es sich selbst in die Taschen zu stecken! Sie hatte es nicht anders verdient!«, fauchte Garuda. »Außerdem hat sie mich an den Haaren gezogen!« »Ein Jammer!« Mit bedauernder Miene wandte sich Lily an Nefertina. »Deswegen hat sie sie abgeschnitten, weißt du? Mit einem Messer auch noch! Garuda hatte wunderschönes rotbraunes Haar, länger als meines.« Garuda fasste sich unbewusst in die schulterlangen Haare und verdrehte die Augen. »Es wächst nach. Und nun Schluss damit. Wollen wir hier stehen und plaudern, bis uns die Palastwache erwischt?« »Verratet ihr mir, wo wir hingehen?«, fragte Nefertina neugierig. Ihre neuen – und im Grunde einzigen - Freundinnen hatten sich äußerst geheimnistuerisch verhalten, als sie die Pläne für den heutigen Tag geschmiedet hatten. Auch jetzt schmunzelte Lily nur und ging dann entschlossen voraus. [...]
Silkaris Hoffnung – Leseprobe aus Kapitel 9*
(*Enthält Spoiler für die erste Hälfte des Romans)
[...] »Vielleicht gibt es doch einen anderen Weg.« Auch Gideon suchte nach einer Lösung. »Können wir uns nicht durchgraben? Bei dem Durchgang kann die Hecke nicht so stark verwurzelt sein, ein Aaron wie Tagaru sollte das schaffen.« »Wir haben jahrelang nach einer Möglichkeit gesucht, glaubst du wirklich, ich wäre nicht auf diese Idee gekommen?« »Damals wusstet ihr nichts von dem Durchgang.« »Es geht trotzdem nicht!« »Schrei ihn nicht so an, er versucht wenigstens zu helfen«, mischte sich Gazine ein. »Damit ist er schon ein ganzes Stück hilfreicher als du!« »Wieso kannst du nicht einfach zugeben, wenn es vorbei ist?« Nun stritten sich Weregrey und Gazine. Gideon schluckte und trat einige Schritte zurück. Er betete für ein Wunder. Dafür, dass ihnen eine neue Lösung in den Schoß fiel. Am besten sofort. Mit einem lauten Quietschen öffnete sich plötzlich die Haustür und Prinz Raidra stand im Türrahmen. Perres folgte ihm wie üblich auf dem Fuß.
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Weregreys Wut fand sofort ein neues Ziel. »Du?! Du hast mir gerade noch gefehlt. Hör endlich auf, dich in meine Angelegenheiten einzumischen, du Köter!« »Köter?« Raidra blieb angesichts der feindseligen Begrüßung überraschend ruhig und musterte Weregrey fast ein wenig gelangweilt. Dabei rieb er die behandschuhten Hände ineinander. »Ich kann mich jetzt nicht mit dir befassen. Verschwinde aus unserem Haus!« »Sehr gut, schrei ihn an. Das wirkt keineswegs verdächtig«, murmelte Tagaru. »Du bist mir auch keine Hilfe!«, fauchte Weregrey ihm entgegen. »Wenn du dich einen Augenblick lang beruhigen würdest, dann könnten wir …« Raidra gab Perres ein Handzeichen und der Hund stieß ein ohrenbetäubendes Bellen aus, dass die Streitenden erschrocken verstummen ließ. Raidra nickte zufrieden und ergriff das Wort. »Tatsächlich sieht es wohl so aus, meine Freunde, dass wir einander brauchen. Je schneller wir diesen Streit begraben und zur Tat schreiten, desto besser. Wir haben schließlich eine große Dummheit vor und ich kann es kaum erwarten.« Die Gruppe starrte ihn an, Gideon und Tagaru verwirrt, Weregrey fassungslos und Gazine regelrecht mordlüstern. Raidra hätte gelacht, wenn die Lage nicht so schrecklich angespannt gewesen wäre. »Was meinst du?«, fragte Tagaru und kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Euer Vorhaben. Ihr wollt durch die Hecke, ins Schloss, eine kleine Rebellion anzetteln. Habt ihr wirklich geglaubt, ich wüsste nichts davon? Zu eurem unverschämten Glück bin ich hier, um euch eine Lösung zu präsentieren. Die einzige, die ihr habt, wenn ich das Geschrei und Gezanke richtig interpretiere.« Weregrey musterte ihn finster. »Was soll das? Du willst uns helfen? Nein, nein, so bist du nicht. Das ergibt keinen Sinn. Was hast du davon?« »Sagen wir einfach, wir können uns gegenseitig helfen«, sagte Raidra und vollführte eine elegante Handbewegung. »Willst du dich vor die Hecke stellen mit diesem arroganten Lächeln und verlangen, dass man uns durchlässt? Und dann werden sie den Durchgang öffnen und uns willkommen heißen?« »Ob mir zum Lächeln zumute sein wird, bezweifle ich noch«, sagte Raidra, ohne eine Miene zu verziehen, »aber ja. Im Grunde wird genau das passieren.« [...]
Silkaris Hoffnung – Leseprobe aus Kapitel 17*
(*Enthält Spoiler für die erste Hälfte des Romans)
[...] Im Silbernen Schloss war Stille eingekehrt. Die Dienstboten waren alle schon zu Bett gegangen und nur die schmal besetzte Nachtwache war noch auf den Beinen. Leise schloss Nefertina die Tür des königlichen Arbeitszimmers hinter sich. Trotz der späten Stunde war sie nicht müde, zu viel ging ihr im Kopf herum. Sie beschloss, vor dem Schlafengehen einen kleinen Abstecher durch den Schlossgarten zu machen und schlich zum Seiteneingang hinaus. Die Luft war kühl und erfrischend, die Nacht wunderschön, klar und wolkenlos. Tief durchatmend schritt sie über die Wiese, an den Blumenbeeten entlang und stieß einen zufriedenen Seufzer aus. »Eine schöne Nacht, nicht wahr?« Sie wirbelte herum.
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Raidra saß im Halbdunkeln an einen Baum gelehnt auf dem Boden. Sein Hund Perres lag neben ihm, hatte den Kopf auf seinem Oberschenkel abgelegt und schien tief zu schlafen, während sein Herr ihn hinter den Ohren kraulte. Sie ging zu ihnen hinüber. »Ich hatte dich gar nicht gesehen. Kannst du nicht schlafen?«, fragte sie. »Ich brauche nicht viel Schlaf«, antwortete er nur. »Was ist mit dir? Es war ein langer Tag und morgen wird es nicht besser.« »Ich komme nicht zur Ruhe«, gestand sie ehrlich. »Mein Kopf fühlt sich an, als würde er jeden Moment zerbersten.« Er nickte. »Das Gefühl kenne ich.« Dann klopfte er neben sich auf den Boden. »Willst du dich zu mir setzen?« Sie zögerte und sah sich kurz im Garten um. »Ich beiße nicht.« Das brachte sie zum Lachen. »Das befürchte ich auch nicht«, sagte sie. »Aber wir sind allein und es wäre nicht schicklich.« Nun war er es, der leise lachte. »Schicklich? Nach allem, was in den letzten Tagen passiert ist, sorgst du dich um Etikette? Nach deinem Auftritt auf dem Schlossplatz wird es niemand mehr wagen, dir unschickliches Benehmen vorzuwerfen, nicht, wenn sie klug sind.« »Wie meinst du das?« Sie kam näher, blieb aber stehen, so dass er zu ihr aufschauen musste. »Du hast die Armee aufgehalten und zwar allein«, erinnerte er. »Sind das deine Fähigkeiten? Oder die des Tores?« »Das weiß ich nicht«, antwortete sie ehrlich. »Aber wäre ich keine Torträgerin, wären meine Fähigkeiten vermutlich noch schwächer.« »Noch schwächer? Ich habe auf diesem Platz nichts von Schwäche gesehen.« Sie zeigte ihm ihre Handflächen. »Meine Fähigkeiten sind rein defensiv«, erklärte sie. »In einem Kampf wäre ich völlig nutzlos.« »Was für ein Unsinn!«, sagte er und er klang ein wenig verärgert. »Hast du je gelernt, deine Fähigkeiten zu nutzen? Hast du je mit ihnen experimentiert? Deine Grenzen ausgetestet?« Zur Antwort schüttelte sie nur mit dem Kopf. Erneut klopfte er neben sich und sah auffordernd zu ihr auf. Nefertina sank neben ihn, ordnete ihre Röcke und faltete die Hände im Schoß. Dann sah sie ihn erwartungsvoll an. »In einem peeroianischen Rudel gibt es feste Aufgaben«, erklärte er. »Ich werde niemals einem kleinen, wendigen Tier raten, sich auf brutale Stärke zu konzentrieren, denn es wird einem größeren, kräftigeren Tier immer unterlegen sein. Es muss sich auf seinen Vorteil konzentrieren und diesen ausbauen. Es ist schneller als andere. Wenn es an seiner Ausdauer arbeitet, kann es die größeren Tiere ermüden und geduldig auf seine Chance warten. Es ist ein genauso wertvolles Mitglied des Rudels wie die schweren und muskulösen Krieger. Einige Rudelmitglieder sind besonders leise, andere haben einen besonders guten Geruchssinn.« Er sah sie aufmunternd an. »Konzentrier dich nicht darauf, was du nicht kannst. Finde heraus, was du kannst. Und lerne, es zu nutzen.« »Du hast leicht reden«, sagte sie. »Ich habe gesehen, wozu du fähig bist.« »Glaubst du, ich bin so geboren worden? Oh nein!« Sein Tonfall wurde bitter und er richtete sich etwas auf. Perres hob verärgert den Kopf, da die Bewegung ihn geweckt hatte. »Ich habe eine strenge Ausbildung erhalten. Fast ein ganzes Jahr habe ich nur mit dem Rudel verbracht und mich in dieser Zeit auch kein einziges Mal zurückverwandelt. Ich habe mit ihnen gejagt, mit ihnen gelebt, bei ihnen geschlafen, bei jedem Wetter. Und auch mit meinen Fähigkeiten habe ich lange experimentiert. Mit sechs Jahren schuf ich zum ersten Mal einen Blitz mit meinen bloßen Händen. Ich war so stolz! Aber nur einen kurzen Moment, dann musste ich die Dienerschaft leider darauf hinweisen, dass das Dach in Brand steht.« Nefertina verkniff sich das Lachen, bis Raidra breit grinste, dann brach es aus ihr heraus. »Es war trotzdem eine beachtliche Leistung«, sagte sie strahlend. »Das will ich doch meinen!« [...]
Sadarks Erbe – Leseprobe aus Kapitel 1
»Können wir hier heute Nacht Rast machen? Es wird bald dunkel«, murmelte Lily erschöpft. Die Velanerin mit den dunklen Locken zog sich den Umhang fester um die Schultern und gähnte zur Bekräftigung ihrer Worte. Hinter der breiten, ebenen Wiesenlandschaft, durchzogen von einem Bach und prächtigen Bäumen an seinem Ufer, erhoben sich am Horizont einige kleine Berge, die die Sicht auf den Weg gen Norden versperrten. Wie schon viele Male zuvor ging einer von ihnen als Späher voran, während die anderen Schutz unter zwei gewaltigen Bäumen suchten, deren niedrigwachsende Äste sie zumindest teilweise vor Angreifern aus dem Norden verbergen würden. Diese Vorgehensweise hatte sich bewährt. »Tagaru sollte gleich zurück sein«, sagte Garuda und sah ihre Freundin wenig verständnisvoll an. »Ich weiß nicht, wie du das machst«, klagte Lily, die ihren Blick durchaus bemerkt hatte. »An deiner Stelle könnte ich keinen Schritt mehr tun.« »Du solltest einfach nicht so wehleidig sein.« Gideon, der sich neben ihnen im Gras niedergelassen hatte, mischte sich ein. »Lass sie, Garuda. Wir alle sind das Reisen nicht gewohnt. Dazu noch das ständige Wachsamsein, alle Sinne immer geschärft. Das macht und allen zu schaffen.«
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Sie waren schon lange unterwegs, stets auf der Hut, stets bereit, dem Feind, der hinter der nächsten Biegung lauern könnte, gegenüberzutreten. Doch sie blieben allein. Es kam nie zu einem Angriff oder einem Hinterhalt. Lily wurde von Tag zu Tag weinerlicher, Garuda versteckte sich hinter einer Fassade aus Stolz und Gleichgültigkeit, mit der sie zunehmend Gazine Konkurrenz machte. Gideons jüngere Drillingsschwester schien unerschöpfliche Energiereserven zu haben. Jeden Abend, wenn sie ihr Nachtlager aufschlugen, war es Gazine, die weitergehen wollte. Sie schickte ihren Adler Shiva regelmäßig voraus und immer wieder brachte der prächtige Vogel schlechte Nachrichten. Und Gazine wurde zunehmend schweigsamer. Auf einem Hügel stehend betrachtete Prinz Weregrey die Gruppe, doch eine Bemerkung von Raidra riss ihn von seinen Freunden los. Der peeroianische Prinz stand einige Schritte weiter und sah über die Schulter der silberhaarigen Frau, die vor ihm auf dem Boden saß. »Wir können nicht mehr weit vom großen Fluss entfernt sein. In ein oder zwei Tagen sollten wir ihn erreichen.« Ohne sich umzublicken, deutete Prinzessin Nefertina auf einen Punkt auf der Karte, die sie auf ihrem Schoß ausgebreitet hatte. »Ja, wir sollten uns ziemlich genau hier befinden. Wenn wir den Fluss überqueren, kommen wir in velanisches Siedlungsland.« Weregrey trat ebenfalls hinter sie. Auf ihrem Weg hatte er sich einige Male die Haare gewaschen, so dass auch sein natürliches Silber wieder zum Vorschein kam. Jetzt war ihre Verwandtschaft unverkennbar. »Wie viele Dörfer liegen noch dazwischen?«, fragte er. »Laut der Karte keines, aber das bedeutet nur, dass es zum Zeitpunkt der Aufzeichnung noch nicht da war.« Sie hatten feststellen müssen, dass die Karten allesamt veraltet waren. Von den letzten vier Dörfern, die sie auf ihrem Weg hierher passiert hatten, waren nur zwei darauf verzeichnet gewesen. »Ab hier dehnt sich der Kontinent nach Ost und West aus. Es ist unwahrscheinlich, dass die Pegan einfach weiter gerade nach Norden marschieren«, überlegte Raidra laut. »Wenn sie den Fluss passieren, müsste sie das bremsen«, sagte Weregrey. »Dann können wir sie endlich einholen.« »Sie haben viele Jomedaner bei sich. Der Fluss ist groß, aber es wird trotzdem kein nennenswertes Hindernis für sie werden«, antwortete Nefertina. »Sie werden den Fluss hier überqueren, noch vor der Gabelung«, sagte Raidra und deutete auf die Stelle auf der Karte. »Und dann nach Nordosten weiterziehen.« »Wieso bist du da so sicher?«, fragte Weregrey. »Weil ich es so machen würde. Velanisches Land ist fruchtbares Land. Sie haben eine Armee zu versorgen, Krieger müssen essen. Sie werden sich alles nehmen, was sie dort finden können und für uns nur Asche zurücklassen.« »Eine klassisch peeroianische Kriegsstrategie.« Nefertina nickte. »Deine Landsleute klingen immer so warmherzig und gütig«, murmelte Weregrey an Raidra gewandt. Dieser zuckte mit den Schultern. »Wenn sie nach Nordosten gehen, werden sie auf die peeroianische Siedlung treffen«, bemerkte Nefertina dann, als sie den Weg auf der Karte mit dem Finger nachzeichnete. »Was genau das ist, was wir verhindern müssen«, sagte Weregrey. »Die Peeroianer sind mächtig, ein Kriegervolk. Wenn die Pegan ihre Armee mit einem Haufen peeroianischer Krieger verstärken, kann sie niemand mehr aufhalten.« »Wir holen bereits auf. Und das Plündern der velanischen Siedlungen wird sie langsamer machen. Wir kriegen sie dort.« Raidra richtete sich auf und streckte sich stöhnend, nachdem er so lange über Nefertina gebeugt gewesen war. Diese rollte derweil die Karte ein. »Die Velaner könnten uns womöglich helfen. Wenn wir sie rechtzeitig erreichen.« Weregrey wusste, was sie dachte und was sie im Geiste ihren Überlegungen hinzufügte. Wenn sie noch leben. Wenn irgendjemand überlebt hat, der uns helfen kann. Weregrey streckte ihr die Hand entgegen. »Wir kommen näher«, sagte er überzeugt. »Bald haben wir sie. Und dann werden wir das beenden.« Sie nickte und ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. Nefertina würde den ganzen Tag in die Schriftrollen und Bücher starren, wenn sie könnte. Dass sie dieses Zeug überhaupt mitgebracht hatte! Sein Gesichtsausdruck, als er statt warmer Kleider und Mäntel nur Bücher in ihrem Gepäck gefunden hatte, musste urkomisch gewesen sein. Sie beharrte darauf, dass in den Schriften die Antworten verborgen waren, wie sie ihre Feinde besiegen konnten. »Tagaru wird dort hinten nichts finden und es wird zu spät, um die Berge heute noch zu überwinden«, sagte Raidra. Sie waren es längst gewohnt, im Freien zu schlafen. Meist hatten sie sich trotz Alternativen dafür entschieden. Sie hatten viele Dörfer und Städte passiert auf ihrer Reise. Alle von den Pegan überfallen und zerstört. Niemand wollte im Bett von jemandem liegen, der entweder tot oder inzwischen Teil der feindlichen Armee geworden war. Eine stetig wachsende Armee, die immer neue vom schwarzen Gift infizierte Wappet aufnahm. Da die Bevölkerungsaufzeichnungen der Siedlungen sehr vage waren, ließ sich die Anzahl ihrer Feinde kaum schätzen. Wenn sie auch nur halb so viele Wappet mitgenommen wie getötet hatten, war die Armee inzwischen doppelt so groß wie bei dem Angriff auf Ajuno. »Er kommt bereits zurück«, bemerkte Weregrey mit einem kurzen Blick gen Norden. »Gehen wir zu den anderen.« Gerade als sie die Gruppe erreichten, trabte Tagaru auf seinem Hengst Bano heran. An seinem Gürtel funkelten die peeroianischen Sichelklingen im Licht der untergehenden Sonne. Weregrey war immer noch neidisch deswegen. Wieso hatte er nicht selbst daran gedacht, der toten Oberkommandantin die wertvolle Waffe abzunehmen? Tagaru hatte sie während der Reise stolz aus der Ledertasche am Sattel seines Hengstes gezogen. An Banos Seite tapste Raidras Hund Perres, der die Späher stets begleitete. Seine empfindliche Nase hatte sie auf dem Weg hierher schon viele Male gewarnt. Der Tod stank, das wussten sie inzwischen alle. »Wir rasten hier, nehme ich an?«, fragte Weregrey seinen Bruder zur Begrüßung, doch der schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich habe da etwas Angenehmeres gefunden. Dort hinten ist eine kleine Stadt. Und da brennen Feuer.« Seite an Seite starrten die Reiter auf dem Rücken ihrer Pferde den Hügel hinunter. Die Stadt war etwa so groß wie Ajuno. Es dämmerte bereits und so waren zahlreiche kleine Feuer entzündet worden, die ein flackerndes Licht auf die Häuser warfen. Wenn der Wind still war, konnte man leise Geräusche hören. Klackern und Stimmen. Die Wappet bereiteten das Abendessen zu, kamen zusammen, unterhielten sich. So schien es jedenfalls. Seit sie die Silberne Stadt verlassen hatten, hatten sie keine anderen lebenden Wappet mehr angetroffen. Die Situation dort unten wirkte so normal, dass es unheimlich war. »Wir hatten angenommen, dass sie hier durchkommen, oder? Wir können sie doch nicht überholt haben?«, fragte Garuda in die Runde. Weregrey schüttelte den Kopf. »Das hätten wir bemerkt.« »Wir sind uns doch einig, dass da unten Wappet leben, oder?«, warf Tagaru ein. »Es sind sicher keine Pegan. Ich habe mir das genau angesehen. Es sind Kinder dabei, Familien.« »Youjonas«, konkretisierte Garuda. Natürlich hatte sie die Banner an den Häusern als Erste erkannt. »Das könnte eine Falle sein.« Draner stand direkt neben Priamos und Raidra suchte Weregreys Blick. Weregrey hatte denselben Gedanken. Aber da waren noch andere. Sie alle waren erschöpft, er selbst wünschte sich nichts sehnlicher als ein Bett und eine warme Mahlzeit. Wie musste es erst den anderen gehen? Nefertina oder Lily, die solche Strapazen nicht im Entferntesten gewohnt waren? »Es würde uns guttun, uns auszuruhen, uns zu stärken. Wir sind inzwischen alle in einem erbärmlichen Zustand, wer weiß, ob wir einen Kampf überhaupt überstehen würden«, antwortete er nachdenklich. »Sprich nur für dich selbst, mein Freund.« Raidra wandte sich nach diesen Worten an Perres. »Wie ist dein Eindruck?« »Von den Wappet dort unten geht keine Gefahr aus«, sagte der Hund. »Es ist alltägliches Treiben, ich konnte nicht einmal Wachen oder Späher entdecken.« »Wenn diese Wappet keine Ahnung haben, dass die Armee der Pegan in der Nähe ist, sollten wir sie warnen«, sagte Gideon. »Was meinst du?« Weregrey wandte sich an Nefertina. Ihr Bauchgefühl - oder war es ein Instinkt? - hatte sich oft als richtig erwiesen, wenn es um die Aktivitäten der Pegan ging. Sie nickte ihm zu. »Wir sollten uns das genauer ansehen.« [...]
Sadarks Erbe – Leseprobe aus Kapitel 2
Raidra verließ den Ehrenplatz und ging hinüber zum Büfett. In der Nähe sah er Tagaru mit einer der Tänzerinnen sprechen. Er gestikulierte wild mit den Armen und die Frau schien gebannt an seinen Lippen zu hängen. Gazine war gleich von drei attraktiven Youjonas umgeben, mit denen sie sich angeregt unterhielt. Lily hatte sich am Rand des Tempelvorplatzes neben die Musiker gestellt und tanzte verträumt vor sich hin. Ihre Gesichtsfarbe verriet, dass ihr der Wein etwas zu Kopf gestiegen war. Vermutlich saß Gideon deswegen in der Nähe, beobachtete sie besorgt und naschte begeistert von ein paar Keksen, die er in seinem Schoß gesammelt hatte. Ein Raunen ging durch die Menge und Raidra, der sich gerade etwas von dem süßen Brot in den Mund geschoben hatte, wandte sich um. Lavia saß inzwischen auf Weregreys Schoß und hatte die Arme um seinen Hals geschlungen. Er trank wieder einmal von seinem Wein und als er das Glas absetzte, beugte Lavia sich vor und presste ihren Mund auf seinen. Die Bewegung war so plötzlich, dass er fast hintenüberkippte. Weregrey stützte sich mit dem rechten Arm ab, um das Gleichgewicht zu bewahren, mit dem linken umklammerte er reflexartig Lavias Taille. Die umstehenden Youjonas jubelten und Weregrey, von diesem Jubel angesteckt, erwiderte Lavias Kuss leidenschaftlich.
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Aus den Augenwinkeln sah Raidra, wie Garuda sich rücksichtslos einen Weg durch die Menge bahnte und das Festgelände verließ. In diesem Moment überkam auch ihn der Wunsch nach etwas frischer Luft und Ruhe. Er nickte den Feiernden höflich zu, während er sich langsam aus ihrer Mitte entfernte. Am Stadtrand, weit weg von dem Feuer und dem Rauch, atmete er ein paar Mal tief ein. Er spürte, wie die kühle Luft seinen Kopf klärte. Gerade als er zum Fest zurückgehen wollte, erregte ein silbriger Schimmer seine Aufmerksamkeit. »Auch geflüchtet?«, fragte er Nefertina, die ganz still auf dem Weg stand und nach oben in den Nachthimmel blickte. Als er sprach, wandte sie sich zu ihm um. »Geflüchtet?«, fragte sie irritiert. »Vom Fest.« »Oh nein.« Sie lachte. »Ich wollte nur …« »… einen Moment alleine sein?« Er grinste sie an und sie nickte. »Dann sollte ich besser gehen?« »Oh nein, bleib nur, wenn du möchtest.« Er hatte geahnt, dass sie zu höflich wäre, um ihn fortzuschicken. »Gehen wir ein Stück«, schlug er vor und bot ihr den Arm. Sie lächelte freundlich und hakte sich bei ihm ein. »Ein bemerkenswertes Fest. Wusstest du, was uns erwartet?«, fragte er nach einigen Schritten. »Ich hatte vom Feuerfest gelesen, eine alte youjonische Tradition. Ich wusste, dass das Fest mit Musik und Feuertricks gefeiert wird, aber ich habe nicht erwartet, dass es so …« Sie schien ein passendes Wort zu suchen. »… wild zugeht.« »Wild?« Raidra sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an und ihre Blicke trafen sich. Dann lachten beide. »Nun ja. Im Palast hätte es so etwas sicher nicht gegeben.« »Du meinst, du würdest nicht durch einen brennenden Reifen springen? Wie schade. Vielleicht können wir das als neue Tradition einführen. Weregrey wird sich sicher dafür einsetzen, er scheint Gefallen an dem Fest zu finden.« Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Wenn er das möchte… Solange es den Youjonas überlassen bleibt, durch den Reifen zu springen, werde ich ihn nicht daran hindern.« »Vielleicht nimmt er Lavia mit. Sie scheint ihm zu gefallen. Wird Weregrey auch heiraten müssen? Es wird sicher ein erfreulicheres Ereignis, wenn man sich den Partner selbst aussuchen darf.« Nefertina tat sich oftmals schwer mit Raidras bissigem Humor, aber diese Spitze hatte sie verstanden. »Raidra …«, begann sie leise. »Ein Scherz, nur ein Scherz.« Er zwinkerte ihr zu, doch ihr Gesichtsausdruck blieb ernst. »Ich dachte nicht, dass dich das verletzt hat. Wir kannten uns doch gar nicht.« »Natürlich nicht. Außerdem bin ich der Sohn eines gefürchteten Königs. Keine gute Partie. Und stell dir nur mal vor, ich würde das Rudel mit ins Schloss bringen. All diese Haare auf den feinen Seidenkissen.« Dieses Mal konnte er sie nicht zum Lachen bringen und auch sein eigenes Grinsen gefror unter ihrem verunsicherten Blick. Er verfluchte sich. Wieso hatte er das Thema aufgebracht? Aber da es schon einmal zur Sprache kam … »Ich versuche mir diese Gedanken zu verbieten, doch sie kommen immer wieder. Kannst du mir verdenken, dass ich es mir ausmale? Meine starke, kluge Frau, meine Königin an meiner Seite. Ein ganz neues Leben. Ein Leben mit dir.« Nefertina senkte verlegen den Blick. »Es war so für uns bestimmt. Ich konnte deine Ablehnung verstehen, als wir uns fremd waren, doch jetzt – quält dich der Gedanke, mit mir vermählt zu sein?« Sofort sah sie wieder auf. »Natürlich nicht! Das habe ich nie gesagt.« »Du fühlst dich wohl in meiner Nähe. Du vertraust mir.« »Ja, das tue ich.« »Du hast gesagt, wir haben eine Verbindung durch die Tore. Glaubst du, das ist alles? Haben die Tore unsere Gefühle füreinander manipuliert?« Sie errötete. »Ich weiß es nicht. Warum fragst du mich das?« »Weil ich seit einer Weile schon eine Antwort auf diese Frage suche. Ich würde gerne herausfinden, ob das was ich fühle, echt ist. Du nicht auch?« Sie sah ihm direkt in die Augen, ihr Gesicht nur noch ein kleines Stück von seinem entfernt. Und für einen winzigen Moment vergaß er, wo sie waren und warum sie hier waren, vergaß, was passiert war in Ajuno und in Sadark Manor, vergaß die Aufgabe, die vor ihnen lag. Und in diesem Moment beugte er sich vor und küsste sie. Zuerst war es ein flüchtiger Kuss direkt auf den Mund. Nefertina wich immer noch nicht zurück. Doch sie schien verunsichert, hielt die Lippen fest geschlossen. Er war geduldig. Der erstaunte Seufzer, der ihr entwich, als ihre Lippen sich sanft öffneten und er ihre Zunge mit seiner berührte, ließ ihn beinahe verrückt werden. Es war ihr erster Kuss, wurde ihm schlagartig bewusst, doch ihre Unsicherheit hielt nicht lange an. Scheinbar ganz von allein fanden sie ihren Rhythmus. Seine Hände wanderten an ihre Hüfte, um sie noch näher an sich zu ziehen. Sie reagierte darauf mit einem wohligen Seufzen und er spürte ihre Hand an seiner Brust und ihren Arm um seine Mitte. Als Raidra realisierte, dass er kurz davor stand, die Beherrschung zu verlieren, brach er den Kuss ab. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht so. Er drückte seine Stirn gegen ihre, wagte es nicht, die Augen zu öffnen und in ihre zu sehen. »Verzeih mir«, presste er hervor.
Peeros Vermächtnis – Leseprobe aus Kapitel 1
Schnell duckte sie sich hinter dem Busch und hob die Hand, um die Windrichtung zu ändern. Er würde sonst zweifellos sofort ihre Witterung aufnehmen. Sie hörte das Rascheln, traute sich aber nicht aufzusehen. Stattdessen schlich sie weiter. Den Geräuschen nach zu urteilen, lief er in die falsche Richtung. Sie grinste zufrieden – und trat auf einen kleinen Ast. Sofort verstummte das Geräusch seiner Pfoten auf dem Waldboden und ein leises Knurren drang an ihr Ohr. Sie fluchte über ihren Fehler. Als der riesige Hund auf sie zusprang, wich sie aus, rollte sich ab und brachte sich in Angriffsstellung, der Oberkörper geduckt, die rechte Hand auf dem Boden aufgestellt, den Schlangenschwanz für die Balance in die Luft gestreckt. Er fixierte sie und fletschte die Zähne. Dann sprangen sie gleichzeitig aufeinander zu. Sie wich den Krallen aus, sprang an ihm vorbei und versuchte, ihn mit dem Schlangenschwanz zu umwickeln. Er rollte sich ab, schlug nach ihr und zwang sie zurückzuweichen. Sofort preschte sie wieder vor, krallte sich auf seinen Rücken, griff mit dem Arm um seinen Hals. Er versuchte, in ihren Arm zu beißen, und als das nicht gelang, warf er sich auf den Rücken, wodurch ihr kurz die Luft wegblieb. Er rollte sich über sie hinweg, kam wieder auf die Füße. Sie rannte los, er verfolgte sie. Sie sprang an dem Baum hinauf, auf den unteren Ast, und brachte sich mit einem Rückwärtssalto hinter ihn. Endlich bekam sie ihn mit dem Schlangenschwanz zu fassen und zog ihm sein rechtes Hinterbein weg. Als er sich herumrollen wollte, rutschte er ab und glitt den kleinen Abhang hinunter. Sie grinste triumphierend und eilte ihm nach. »Wo bist du hin?«, rief sie den Abhang hinunter, ging in die Hocke und kniff die Augen zusammen. Sie glaubte, in den Büschen einen Schatten zu sehen, und fixierte ihn angestrengt. Das leise Tapsen links neben sich hörte sie zu spät. Als sie sich umwandte, war der Hund bereits abgesprungen. Sie taumelte rückwärts und landete flach auf dem Rücken. Bevor sie sich aufrichten konnte, stand der Hund über ihr und die gefletschten Zähne ragten drohend vor ihren Augen auf.
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»Der war gut«, murmelte Salamas resigniert. Der riesige Hund zuckte am ganzen Körper. Die schwarzen Fellhaare zogen sich langsam zurück, der buschige Schwanz verschwand, Hände und Füße traten an die Stelle der Pfoten. Die Gestalt, die bedrohlich über ihr aufragte, wurde kleiner und das zähnefletschende Maul verwandelte sich in ein breites Siegergrinsen. In den violettblauen Augen blitzte der Triumph. »Gewonnen!«, rief Rakon. »Genieße es, es passiert selten genug!«, feixte sie und stieß ihn gegen die Schulter. »Geh runter von mir!« Lachend setzte er sich zurück auf die Füße und stand auf. Dann reichte er ihr eine Hand und zog sie nach oben. Sie betrachtete ihren Schlangenschwanz. »Du hast mich wirklich gebissen!«, stellte sie mit weit aufgerissenen Augen fest. Er zuckte mit den Schultern. »Es ist alles erlaubt. Du musst besser aufpassen.« »Das nächste Mal schone ich dich nicht.« »Sei keine schlechte Verliererin«, neckte er sie. »Lass uns lieber über meinen Preis nachdenken.« »Du willst einen Preis? Ist die Ehre meiner Gesellschaft nicht genug?«, fragte sie gespielt empört. »Einen besonders großen Preis!«, rief er daraufhin. »Ich werde dich nie wieder gewinnen lassen, wenn du danach derart unausstehlich bist.« Er lachte schallend. »Mich gewinnen lassen? Deinen überraschten Gesichtsausdruck werde ich ewig nicht vergessen.« Sie gingen gemeinsam zum Garten der Villa hinauf und griffen sich je einen Becher Wasser von dem Holztisch unter dem Pavillon. Dann ließ Rakon sich ins Gras sinken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und legte sich mit einem zufriedenen Seufzen auf den Rücken. Eine Gruppe Welpen hatte auf diesen Moment nur gewartet. Übereifrig stürmten die Kleinen heran und verlangten schwanzwedelnd und bellend nach seiner Aufmerksamkeit. Er zog die Hände unter dem Kopf hervor und hob einen von ihnen auf seine Brust, wo er ihm den Bauch kraulte. Salamas grinste, legte sich neben Rakon auf den Bauch und stützte den Kopf auf ihre Handflächen. Sie strampelte mit den Beinen und ihr Schlangenschwanz schwang durch die Luft. Die anderen Welpen schnüffelten misstrauisch an ihr, doch einer traute sich schließlich doch, tapste zögerlich zu ihr und als sie sich auf die Seite rollte, um eine Hand frei zu haben, ließ er sich von ihr streicheln. »Mutiger kleiner Kerl«, sagte sie. »Gib ihnen Zeit, sich an dich zu gewöhnen. Dein Geruch macht ihnen Angst«, erklärte Rakon und stupste den Welpen auf seiner Brust neckisch auf die Nase. »Es ist nicht so, als ob ihr eine Wohltat für meine Nase wärt«, gab sie grinsend zurück. »Habt Ihr mich gerade beleidigt, Eure Hoheit?«, fragte Rakon hochnäsig. »Es würde mir nicht im Traum einfallen, etwas Derartiges zu tun.« »So eine feine Ausdrucksweise«, lobte Rakon. »Ich hatte gedacht, sie wollen dich jetzt endlich dem Adel präsentieren. Wie bist du dem Abendessen mit dem jomedanischen Prinzen entgangen?« »Bin ich nicht, das ist morgen.« Rakon stutzte. »Nein, das ist ganz sicher heute. Vater hat sogar in seinen Gemächern im Schloss übernachtet, um früh genug dort zu sein und alles vorbereiten zu können.« Salamas zog eine Grimasse. »Hör auf, mich aufzuziehen.« »Ich ziehe dich nicht auf. Das Schiff traf zur Mittagszeit im Hafen ein, hast du die Glocken nicht gehört?« Der Welpe auf Rakons Brust bellte bekräftigend. »Oh nein.« Salamas richtete sich ruckartig auf. »Nein, nein, nein!« »Du bist viel zu spät.« Rakon sah sie mahnend an, doch das Grinsen schlich sich zurück auf sein Gesicht. Er war doch jetzt nicht allen Ernstes amüsiert? »Die Sonne geht gleich unter.« »Oshosha wird mich umbringen!«, rief sie, während sie über die Wiese auf das große Tor zu sprintete. Rakons helles Lachen folgte ihr. Auch ihre Stute starrte sie missmutig an, als sie endlich das Tor zum Anwesen erreichte. »Prinzessin, wir hätten schon längst zurück sein müssen!«, sagte das Tier anklagend. »Ich habe es vergessen!«, verteidigte sich Salamas, während sie sich mit einem Ruck in den Sattel zog. Sie trieb die Stute zu halsbrecherischem Galopp an, nutzte alle Schleichwege und Abkürzungen, die sie kannte. Trotzdem spiegelte sich der rote Abendhimmel bereits an den Schlossmauern, als sie bei den Stallungen ankam. »Laschoh!«, rief Salamas erleichtert, als sie ihren Onkel Gideon sah, der dabei war, einen der jungen Hengste zu striegeln. »Salamas? Wo …?« Irritiert wirbelte Gideon herum. »Solltest du nicht längst …?« »Ja!«, unterbrach sie ihn, sprang vom Pferd und warf ihm die Zügel zu. »Kümmerst du dich bitte um sie? Danke!« Salamas ignorierte das verdatterte Gesicht ihres Onkels und nahm den direkten Weg in ihr Zimmer. Sie kletterte geschickt an der Schlossmauer hinauf, rannte über das Dach und hangelte sich anschließend vor ihrem Zimmerfenster hinunter. Erleichtert stellte sie fest, dass kein Diener das Fenster verschlossen hatte, und schwang sich in den Raum. Als sie an ihrem Spiegel vorbeikam, fluchte sie. Sie war völlig verdreckt, ihr Haar voller Blätter und Gräser. Aber für ein Bad blieb wirklich keine Zeit. »Prinzessin?« Ihr Herz machte einen erfreuten Hüpfer, als sie die mädchenhafte Stimme durch die geschlossene Tür hörte. Mit einem Sprung war Salamas an der Tür, öffnete sie und zog die Kammerzofe ihrer Mutter ins Zimmer. »Du bist meine Rettung, Yai!« »Ihr seid noch nicht fertig?«, fragte Yai fassungslos. »Ich wurde gebeten, nachzusehen, wo Ihr bleibt. Die Herrschaften sind mit dem ersten Wein schon fast fertig, es wird Zeit für das Abendessen.« Salamas fluchte undamenhaft, während sie sich hüpfend von ihren Leinenhosen befreite. Yai schüttelte ungläubig den Kopf und lief dann schnell zum Bett, wo das Kleid schon bereitlag. In beeindruckender Geschwindigkeit gelang es der Zofe, die Prinzessin in das Gewirr aus Stoffschichten zu kleiden. Sie bürstete ein paar Mal kräftig durch Salamas’ Haar, was diese kläglich aufstöhnen ließ, weil es voller Knoten war, und fing drei seitliche Strähnen für eine verspielte Flechtfrisur ein. Salamas eilte bereits aus dem Zimmer, als Yai noch damit beschäftigt war, die Schnürungen am Rücken des Kleides zu schließen. Die Palastwache Salis stand vor der Tür zum großen Speisesaal und warf Salamas einen mahnenden Blick zu, konnte aber gleichzeitig auch nicht verbergen, dass sie amüsiert war. Salamas hob nur entschuldigend die Arme, bevor die Wache die Tür öffnete, sich räusperte und mit klaren, lauten Worten die Prinzessin ankündigte. Das Gespräch im Inneren des Saales erstarb sofort und Salis öffnete die Tür etwas weiter, um die Prinzessin durchzulassen. Mit hocherhobenem Kopf betrat Salamas den Raum und trat prompt auf ihr Kleid. Mit einem schnellen Tippelschritt fand sie ihr Gleichgewicht wieder und ging auf die Gruppe zu. Nervös musterte sie die Reaktionen. Rakons Vater Raidra hatte seine seit geraumer Zeit übliche undurchdringliche Miene aufgesetzt, zwinkerte Salamas allerdings kurz zu. Ihr Onkel Weregrey stand neben ihm und gab sich nicht einmal Mühe, seine Erheiterung zu verbergen. Als sie jedoch ihrem Vater ins Gesicht sah, sank sie ein wenig in den Schultern ein. Oh ja, er war wütend, aber er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Er lächelte verkrampft mit zusammengepressten Lippen, aber seine Augen funkelten und er hob mahnend beide Augenbrauen. Ihre Mutter stand direkt neben den jomedanischen Gästen, ein schelmisches Lächeln auf den Lippen. Wie immer gelang es der Königin leicht, die verkrampfte Situation aufzulösen. Sie wandte sich an den Prinzen und flüsterte eine jomedanische Bemerkung, die Salamas nicht vollständig verstand. Doch der Mann mit hellblauer Haut und grünen Augen nickte sofort freundlich schmunzelnd. Gerad trat einen Schritt beiseite, damit Salamas neben Nefertina stehen konnte. Noch während die Königin sie mit den jomedanischen Gästen bekannt machte, spürte Salamas den Schlangenschwanz ihres Vaters an den Schnürungen ihres Kleides nesteln. »… unsere Gäste. Prinz Kaikun von Jomeda.« Gerade als der Prinz sich vor ihr verbeugte und die Hand nach ihr ausstreckte, zog Gerad die Schnürung zu und Salamas blieb kurz die Luft weg. Aber wenigstens hatte sie jetzt nicht mehr das Gefühl, dass das Überkleid ihr gleich auf die Hüften rutschen würde. »Es freut mich sehr«, antwortete sie mit ungewöhnlich hoher Stimme und atmete tief durch. Mit ihrem eigenen Schlangenschwanz gab sie dem ihres Vaters einen Klaps. Hinter ihren bauschigen Röcken hatten die Gäste das sicher nicht gesehen. Hoffentlich. Sie spürte den väterlich mahnenden Blick im Nacken, als sie einen Knicks vollführte und den Prinzen ihre Hand küssen ließ. »Ich habe die Ehre, Euch meine Familie vorzustellen«, fuhr der Prinz mit einem charmanten Lächeln fort. Er ließ ihre Hand los und winkte die beiden jungen Männer heran, die hinter ihm gestanden hatten. »Meine liebe Gemahlin ist leider verhindert, da unser Sohn noch kein Jahr alt ist und das Reisen ihm leider überhaupt nicht zusagt. Daher haben meine beiden Cousins nun die Ehre, der Kronprinzessin vorgestellt zu werden.« Der erste Mann verbeugte sich. Er war sehr groß und schmal, mit lockigen, violetten Haaren und ebenso hellblauer Haut wie Prinz Kaikun. »Prinz Hajan.« Pflichtschuldig senkte Salamas den Blick und hielt auch ihm ihre Hand zum Kuss hin. »Und der Sohn meiner Lieblingstante, die Liguan leider so gern hatte wie ich, weswegen er sie viel zu früh zu sich gerufen hat: Prinz Yadov«, fuhr Prinz Kaikun fort und der zweite, deutlich jüngere Mann verbeugte sich vor Salamas. Er hatte kurz geschnittenes, glattes schwarzes Haar, mit einem sanften bläulichen Schimmer darin, und eine grüne Gesichtsfarbe. »Ihr dürft mich Yad nennen«, sagte er mit einem schelmischen Lächeln, nachdem auch er ihr die Hand geküsst hatte. Salamas lächelte verlegen und realisierte, dass alle auf eine Antwort von ihr warteten. Weil ihr nichts Besseres einfiel, wandte sie sich an Prinz Kaikun. »Ich freue mich sehr, Euch in unserer Stadt begrüßen zu dürfen. Ihr habt eine große Familie, nicht wahr?« »Oh ja«, antwortete er. »Mein Vater, der letzte König von Jomeda, hatte vier Brüder und sieben Schwestern.« Das hatte Salamas bereits gewusst. Sie hatte den Stammbaum der jomedanischen Königsfamilie in den letzten Tagen so oft unter die Nase gehalten bekommen, dass sie davon geträumt hatte. Trotzdem war es Prinz Kaikun gelungen, aus der Fülle seiner Cousins und Cousinen diejenigen mitzubringen, über die Salamas noch nichts gelesen hatte. Auch als er ihr jetzt noch die drei jungen Frauen in der Gruppe vorstellte, seine Cousine und zwei Nichten zweiten Grades, versuchte sie krampfhaft, sich die Namen einzuprägen. Nachdem sie zum vierten Mal wiederholt hatte, wie sehr der Besuch sie freute, sah sie hilfesuchend zu ihrer Mutter, doch es war Raidra, der ihr zu Hilfe kam. »Ganz hervorragend!«, sagte er laut und öffnete begeistert die Arme. »Können wir den Rest der Unterhaltung am Tisch weiterführen? Ich bin sicher nicht der Einzige, der vor Hunger stirbt.«
Peeros Vermächtnis – Leseprobe aus Kapitel 2
Die kühle Nachtluft war eine wahre Wohltat für Gerads erhitzte Haut, als sie aus dem Gasthaus kamen. »Das war ein herrlicher Abend!«, sagte Gideon mit geröteten Wangen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich wusste nicht, wie gut du spielen kannst!« »Wenn du Jahre allein in einer großen Villa verbringst, ist dir irgendwann langweilig genug, um sogar die Instrumente hervorzukramen, die du als Kind gehasst hast«, antwortete Gerad. »Er spielt aber auch nur, damit er nicht singen muss«, sagte Gazine neckisch. »Weil ihr beiden das viel besser könnt. Du hast eine erstaunlich schöne Stimme, wenn sie gerade keine Beschimpfungen und Drohungen formuliert.« Gerad grinste und wich dem Klaps aus, den seine Schwester ihm für diese Bemerkung geben wollte. »Du liebe Zeit, es ist wirklich spät!« Gideon sah sich auf den leeren Straßen um. In den meisten Häusern war kein Licht mehr zu entdecken. »Zu spät, um ins Schloss zurückzukehren. Du kannst bei mir schlafen«, bot Gazine an, doch Gerad schüttelte den Kopf. »Danke, aber so weit ist es nicht.« »Hält deine bezaubernde Frau es etwa immer noch keine einzige Nacht ohne dich aus? Offenbar können diese Hände noch mehr, als die Saiten eines Instruments zu streicheln.« Gazine griff nach seiner Hand und betrachtete sie mit einem süffisanten Lächeln. »Sicher nichts, das ich mit dir zu besprechen wünsche«, sagte Gerad und entzog ihr seine Hand. »Och!«, rief sie und zog einen Schmollmund. »Wieso nicht?« »Weil du kein Schamgefühl besitzt.« »Kannst du das fassen?«, fragte sie an Gideon gewandt. »Aber natürlich!«, sagte dieser schnell. »Gerad ist ein Edelmann, der genießt und schweigt.« »Danke, Gideon.« »Dieses ekelhaft glückliche Lächeln, das du dauerhaft im Gesicht trägst, verrät uns sowieso alles, was wir wissen müssen.« Gerad verdrehte die Augen, als ein plötzliches Poltern und Gegröle seine Aufmerksamkeit erregte.
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»Da ist wohl doch noch jemand wach«, sagte Gazine. »In der Richtung liegt das Gasthaus im Hafenviertel. Das ist keine schöne Gegend bei Nacht.« Gideon verzog das Gesicht. »Ich nehme das als Stichwort und wünsche euch eine gute Nacht.« »Unfassbar!« Gazine deutete auf eine Gruppe Halbwüchsiger, die den Weg entlang stolperte. »Das sind die jomedanischen Adelsbengel.« Tatsächlich ging Prinz Yadov in der Mitte, umgeben von einigen der Vertrauten seines Cousins, allesamt jomedanische Lords. Auch einige junge Adlige anderer Völker hatten sich darunter gemischt und es waren auch nicht nur Jungen. Gerad erkannte eine jomedanische Prinzessin sowie zwei von Nefertinas Hofdamen und einige Damen aus dem niederen Adel. Er wollte sich eben abwenden, so tun, als hätte er die Jugendlichen nicht gesehen und ihnen eine Blamage ersparen, als er deutlich eine vertraute Stimme in dem Gewirr vernahm. Oh bitte nicht … Er hatte einen Arm um eine velanische Hofdame gelegt und war so in das Gespräch mit ihr vertieft, dass er Gerad, Gideon und Gazine noch nicht bemerkt hatte. »Rakon?«, rief Gerad entgeistert. Der Junge sah auf. Sein Haar war wild durcheinander und er pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht, bevor er antwortete. Seine Wangen waren gerötet und er sprach ungewöhnlich laut. »Onkel Gerad!« Die anderen Mitglieder seiner Truppe erstarrten daraufhin peinlich berührt und versuchten sofort, gerade zu gehen und ihre Kleider in Ordnung zu bringen. Rakon löste sich von der jungen Frau und war mit zwei Sätzen bei den dreien. »So eine Überraschung!« »Keine angenehme«, antwortete Gerad und verzog das Gesicht, als ihm ein schrecklich vertrauter Geruch in die Nase stieg. »Rakon, verflucht, du bist betrunken!« »Besser nicht«, murmelte Rakon und sah an sich hinunter. »Ssssonst wäre ich jetzt in ziemlichen Schwierigkeiten.« »Oh, wie herrlich!«, rief Gazine amüsiert. Gerad hatte überhaupt keine Lust, seiner Schwester diese Schadenfreude zu gönnen. »Gideon, bitte begleite unsere Schwester nach Hause. Wenn ihr einer Nachtwache begegnet, informiert sie, damit sie den Prinzen und sein Gefolge zurück ins Schloss geleiten kann. So unauffällig wie irgend möglich.« »Ach, Eure Hoheit!«, rief Yadov begeistert und bahnte sich seinen Weg zu Gerad. Er wirkte vergleichsweise nüchtern, jedoch im Angesicht der Lage für Gerads Geschmack viel zu entspannt. »Vielen Dank, doch das ist nicht nötig. Wir kommen hervorragend zurecht. Der junge Meister Rakon hier hat uns die besten Gasthäuser der Stadt gezeigt. Wahrlich königliche Gesellschaft möchte ich sagen.« »Es war mir eine Ehre«, presste Rakon hervor und vollführte eine ungeschickte Verbeugung. Gerad packte ihn am Kragen und zog ihn zu sich. »Ich bringe dich nach Hause.« »Und wir haben einfach nichts gesehen«, murmelte Gideon und zog Gazine am Arm mit sich. »Warte!« Sie wandte sich zu Gerad um und musterte ihn mahnend. »Sie werden dich in Stücke reissen, wenn du dich dem Grundstück auch nur näherst.« »Das ist meine Versicherung«, antwortete Gerad, während er sich auch schon umdrehte und einen stolpernden und fluchenden Rakon mit sich zog. Prinz Yadov rief ihnen noch etwas nach, dann stolzierte er mit seiner Gruppe weiter Richtung Hauptstraße. Gerad hingegen suchte bewusst nach Seitengassen. »Verflucht, Rakon!«, zischte er schließlich, als sie die Randbezirke der Stadt erreicht hatten. »Was soll das? Was hattest du da zu suchen?« »Seine Hoheit hat uns eingeladen!«, rief Rakon. »In eine Spelunke im Hafenviertel?« Rakon befreite sich aus Gerads Griff und richtete seine Kleidung. Oder er versuchte es, scheiterte aber bereits daran, sein Hemd wieder ordentlich in die Hose zu stecken. »Die anderen Gasthäuser haben geschlossen, aber wir wollten noch nicht gehen. Was ist mit dieser verdammten Hose?« Gerad seufzte tief, schlug Rakons Hände weg und brachte seine Kleider in Ordnung. »Du siehst trotzdem furchtbar aus«, sagte er. »Bei den Toren, und du stinkst! Das war nicht nur Wein, Rakon, was hast du getrunken?« »Leckere Dinge«, murmelte Rakon verträumt. Er summte und stolperte die Straße hinunter. »Hier entlang«, sagte Gerad, als Rakon wiederholt den Weg Richtung Schloss einschlagen wollte. »Ich bringe dich nach Hause.« »Oooooooder …« Rakon krallte sich an seiner Weste fest und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Du tust das nicht. Lass mich in meinen Gemächern im Schloss schlafen, oder in den Dienstbotenquartieren, ist mir auch ganz egal.« »Und wie soll ich das erklären?« »Du hast mich gar nicht gesehen.« Gerad seufzte. »Rakon, du bringst mich in eine furchtbare Lage. Ich kann deinem Vater das nicht verheimlichen.« »Klar kannst du.« Rakon legte einen Finger auf die Lippen. »Es nennt sich lügen. Lüüüüüügen, Onkel Gerad! Es ist ganz leicht, ich bringe es dir bei.« »Was ist los mit dir?«, fauchte Gerad. »Jeder, der dich kennt, lobt dein tadelloses Benehmen, dein besonnenes Auftreten. Seit wann tust du so etwas?« »Was meinst du?«, fragte Rakon und breitete die Arme aus, während er sich einmal im Kreis drehte und dabei gefährlich schwankte. »Oh, das meinst du. Ja, ja.« Er nickte wissend. »Weißt du, ich habe etwas herausgefunden. Aber komm her, es ist ein Geheimnis.« Er legte Gerad einen Arm auf die Schulter und beugte sich nah zu ihm. Gerad drehte den Kopf beiseite, um dem entsetzlichen Geruch auszuweichen, als Rakon flüsterte: »Ich bin ein Bastard.« »Was hat das damit zu tun?«, fragte Gerad irritiert und schob Rakon ein Stück von sich weg, hielt ihn aber an der Schulter fest und suchte seinen Blick. »Als mir zum ersten Mal bewusst geworden ist, was das heißt, dachte ich mir: Das ist kein Problem! Ich werde einfach perfekt sein. Der perfekte Prinz! Ich werde ihnen allen beweisen, dass ich das kann, und dann werden sie es einfach vergessen.« Rakon lachte bitter. »Sie vergessen es aber nicht. Niemalsssss!« Er löste sich von Gerad und kletterte auf eine kleine Mauer. »Und selbst wenn«, rief Rakon. »Ich bin immer nur ein Sohn. Der Sohn, um genau zu sein. Im Schatten meines Vaters, des allwissenden, allmächtigen, über alle Maßen perfekten und furchteinflößenden Donnerkönigs von Silkari!« Rakon breitete die Arme aus, legte den Kopf in den Nacken und stieß ein wolfsartiges Heulen aus. »Rakon, sei still und komm da runter!«, fauchte Gerad. »Lang lebe der Donnerkönig!«, rief Rakon. Gerad sprang noch rechtzeitig auf die Mauer, um Rakon aufzufangen, der im nächsten Moment hintenübergekippt wäre. Rakon lachte schallend. »Glaub nicht, dass ich dich trage, Junge«, knurrte Gerad und stellte ihn wieder auf seine Füße. Er wurde bedenklich blass und verdrehte merkwürdig die Augen. »Oh, bitte nicht«, murmelte Gerad. »Es geht mir gut!« Rakon drückte beide Handflächen gegen seine Schläfen. »Was ist mit dir, Onkel Gerad? Warst du nie betrunken?« »Natürlich. Meinen ersten Rausch habe ich deinem Vater zu verdanken.« »Ha!«, rief Rakon triumphierend. »Der damals fast doppelt so alt war wie du jetzt, Rakon!« »Na und?« Rakon zog einen Schmollmund. »Seine jomedanische Hoheit war nicht der Meinung, dass ich zu jung bin.« Gerad packte Rakon am Kragen und ließ das schelmische Grinsen im Gesicht des Jungen verschwinden. »Du solltest zu den Toren beten, dass alle Beteiligten dieses Geschehen morgen vergessen haben! Oder dass es ihnen zu peinlich sein wird, es irgendjemandem zu erzählen.« Rakons Augen weiteten sich. »Sag es nicht der Königin!«, rief er plötzlich und warf sich Gerad um den Hals. »Sie wird so enttäuscht von mir sein! Du verrätst mich nicht, Onkel Gerad, schwöre es!« »Geh weiter!« Gerad befreite sich aus Rakons Griff und schob ihn den Weg zu Raidras Villa hinauf. Nach nur wenigen Schritten legte er den Arm um Rakons Mitte, weil der Junge gefährlich schwankte und ständig gegen die Mauer oder einen Baum zu laufen drohte. Die Hunde standen bereits am Tor. Bei Gerads Anblick knurrten einige. »Ich bringe euren Meister«, sagte Gerad. »Dann verschwinde ich wieder!« Er hatte absolut keine Lust auf eine Auseinandersetzung und zum Glück ließen die Hunde ihn eintreten. Sie knurrten zwar weiter, hinderten ihn aber nicht daran, Rakon bis zur Villa hinaufzuschleifen. Ein Jaulen hallte durch die Nacht und vermutlich wurde Raidra über den unerwarteten Besucher informiert. »Ich habe etwas, das dir gehört!«, rief Gerad ungeduldig. »Das ist wahr!«, drang die Antwort sofort dumpf hinter der Tür hervor. Verflucht! Eine dämlichere Formulierung ist dir nicht eingefallen? Die Tür schwang auf und Raidra lehnte sich lässig an den Türrahmen. Sein Blick glitt von Gerad zu Rakon, der über dessen Schulter hing, und zu Gerad zurück. »Oh«, sagte Raidra tonlos. »Ich dachte, du meinst etwas anderes.« »Er meinte …«, flüsterte Rakon. »Ich weiß, was er meinte!«, zischte Gerad. Raidra beobachtete ausdruckslos, wie Gerad seinen Sohn auf die Füße stellte und vorsichtig seinen Arm um Rakons Mitte löste. Der Junge schwankte, blieb aber stehen. Er musterte misstrauisch die finstere Miene seines Vaters und grinste dann breit. »Einer von uns ist in Schwiiiiiierigkeiten!«, sang er. Ja, mein lieber Junge, aber ich bin es ausnahmsweise nicht. Gerad atmete tief durch. »Ich habe ihn zufällig gefunden, als er aus dem Gasthaus am alten Brunnen gestolpert kam. In Gesellschaft des jomedanischen Prinzen und seines Gefolges«, erzählte er. »Ich bin nicht betrunken!«, verkündete Rakon lautstark. Raidra hob eine Augenbraue, sagte er aber weiterhin nichts. »Opferst du dich für mich, Onkel Gerad?«, flüsterte Rakon. »Ich werfe dich ihm zum Fraß vor und fliehe so lange, ja?« Rakon gab Gerad einen Schubs, erreichte damit aber nur, dass er sich selbst umwarf. Er landete unsanft auf seinem Hintern und stieß einige peeroianische Flüche aus. Gerad musterte ihn, halb mitleidig, halb genervt. »Ins Bett mit dir, Rakon«, sagte Raidra. Rakon sah zwischen seinem Vater und Gerad hin und her. »Ernsthaft? Keiner von euch hilft mir auf?«, fragte er und hob hilflos die Hände. »Du kannst gehen, krabbeln oder kriechen, es ist mir gleich«, sagte Raidra. »Aber tu es jetzt.« Rakon starrte seinen Vater fassungslos an, während Gerad sich zu einem neutralen Gesichtsausdruck zwang. Er brauchte drei Versuche, doch dann kam Rakon wieder auf die Beine. »Gute Nacht, Onkel Gerad!«, rief er fröhlich. Als er in den Türrahmen stolperte, lehnte er sich zu Raidra hinüber. »Es tut mir leid, Vater«, murmelte er, »dasssss ich nicht so perfekt sein kann wie duuuuu.« Er verschwand im Haus, doch Gerad hörte deutlich, wie Rakon mehrmals »Der Donnerkönig! Fürchtet den Donnerkönig!« rief, bevor er offenbar stolperte und sich anschließend erbrach. »Wer hat euch gesehen?«, fragte Raidra, der nicht einmal über die Schulter sah, während Würge- und Jammerlaute aus seiner Villa drangen. »Ich war mit Gideon und Gazine unterwegs«, sagte Gerad. »Auf dem Weg hierher waren die Straßen leer, mit etwas Glück hat uns keiner gesehen.« Aber gehört, fügte Gerad im Geiste hinzu. Es war praktisch unmöglich, dass das Geschrei und Gesinge keiner gehört hatte. Raidra sah das wohl genauso. »So viel Glück kann man gar nicht haben. Wobei, wenn nicht du, wer dann? Für dich scheinen die Dinge in letzter Zeit stets hervorragend zu laufen.« Es war hart, Raidras kaltem Blick zu begegnen, doch Gerad wich ihm nicht aus. »Ich hoffe, Rakon geht es morgen besser.« »Es wird ihm ganz grauenvoll gehen«, sagte Raidra und griff nach der Tür. »Aber das soll nicht deine Sorge sein.« Und mit diesen Worten und einem dumpfen Klacken fiel die Tür der Villa zu.
Peeros Vermächtnis – Leseprobe aus Kapitel 3
Ohne anzuklopfen, stürmte Raidra in Weregreys Arbeitszimmer. »Ich dachte, wir wollten direkt nach dem Mittagessen sprechen?«, fragte er genervt. »Und hier bist du«, antwortete Weregrey, den Kopf auf seinem Handrücken aufgestützt. »Also können wir anfangen.« Raidra verschränkte die Arme vor der Brust. Manchmal spielten sie diese kleinen Machtspielchen. Den anderen warten zu lassen oder ihn in das eigene Arbeitszimmer zu rufen. Um das zu vermeiden, trafen sie sich normalerweise im Thronsaal. Aber ein Blick auf Weregreys zerzauste Haare und die riesige Karaffe Wasser auf dem Tisch ließen Raidra ahnen, dass es kein Machtspiel war, das Weregrey heute hinter seinem Schreibtisch festhielt. »Du hast Tagaru gebührend verabschiedet?«, fragte er. »Oh ja. Der Kopf wird ihm noch tagelang dröhnen.« Weregrey stöhnte. »Aber ich hatte nicht bedacht, welche Folgen das für mich haben würde.« »Mit so vielen schlechten Vorbildern muss ich mich ja nicht mehr wundern, wieso mein Sohn Mist baut.« Weregrey grinste gequält. »Ich habe davon gehört.« »Von wem? Gerad?« »Nein.« Weregrey sah auf. »Ich habe Gerad noch nie auch nur ein einziges Wort über Klatsch verlieren hören.« »Du kennst ihn inzwischen wohl recht gut. Nun, ihr seid schließlich auch praktisch Familie.« Weregrey warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Raidra, lass es. Ich habe viel zu starke Kopfschmerzen, um mich jetzt mit eurem verfluchten Drama zu beschäftigen. Wenn es dich so sehr quält, wieso hast du ihn gestern im Badehaus nicht einfach ersäuft?«
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Raidra lachte. »Das hast du auch schon gehört? Unfassbar.« »Ich hatte gehofft, ihr würdet euch aussprechen.« »Haben wir auch. Irgendwie.« »Aber? Nein, warte!« Weregrey schüttelte den Kopf. »Bitte sag es mir nicht. Ich will es gar nicht wissen.« Die Situation war schwierig für Weregrey, denn er stand in der Mitte, das war Raidra völlig klar. Doch er musste einfach mit jemandem sprechen, sonst würde er zweifellos in Kürze platzen. Früher hatte er mit Gerad alles geteilt, was ihn beschäftigte, seine Gedanken, seine Gefühle, seine Ängste. Während Gerad weg war, hatte Nefertina diese Rolle übernommen. Seit er mit beiden kaum noch sprach, fraß Raidra alles nur noch in sich hinein. Er fühlte sich durchgehend, als wäre ihm ein wenig schlecht. »Sie hat mich geküsst. Dann hat sie es ihm gebeichtet und er ist nicht einmal wütend auf mich«, sprudelte es aus Raidra heraus. »Du tust mir das jetzt wirklich an, ja?« Stöhnend griff Weregrey nach seinem Kelch und trank einen großen Schluck Wasser. »Falls du von mir hören willst, dass mich das überrascht: Tut es nicht. Beides nicht.« Ein Diener kam mit einer Wasserkaraffe und einem zweiten Kelch in den Raum geeilt und ersparte Raidra für den Moment die Antwort. Raidra nahm den Kelch mit einem Nicken entgegen und trank einen Schluck. Er stutzte. »Das schmeckt grässlich.« »Es ist Wasser«, antwortete Weregrey seelenruhig, während der Diener Raidra nervös musterte. »Mein Wasser ist immer mit Früchten gesüßt«, sagte Raidra. »Ich dachte, die Diener machen das immer so. Dann bin ich wohl doch beliebter als du.« Weregrey lehnte sich zurück und sah zu dem Diener, der mit der leeren Karaffe in der Hand bereits im Begriff war, wieder zu gehen. »Würdet Ihr Prinz Raidra sagen, warum Ihr sein Wasser mit Früchten süßt?« Der Diener räusperte sich und musterte Raidra nervös. »Ich … ich dachte, das wisst Ihr, Eure Hoheit. Ihre Majestät hat das angeordnet.« Raidra erstarrte, den Kelch immer noch in seiner Hand. »Wann?«, fragte er. »Ich weiß nicht, Eure Hoheit. Vor einer Weile.« Weregrey sah ihn jetzt an, als würde er darauf warten, dass er etwas begriff. »Hat Ihre Majestät noch mehr angeordnet, das mich betrifft und von dem ich nichts weiß?«, fragte Raidra leicht gereizt. »Oh, nur Kleinigkeiten, Eure Hoheit«, versicherte der Diener. »Würdet Ihr mir diese Kleinigkeiten freundlicherweise aufzählen?« Es war am Gesicht des Mannes abzulesen, dass er diese Anweisung höchst merkwürdig fand, doch er räusperte sich und tat wie ihm geheißen. »In Eurem Obstteller dürfen keine Äpfel sein. Wenn Ihr spät noch arbeitet, sollen wir Euch Pralinen bringen. Die Kerzen in Eurem Arbeitszimmer müssen immer aufgefüllt sein. Die Schreiben, die Ihr erhaltet, müssen vorher übersetzt werden.« Der Diener stutzte. »Wenn Ihr dies nicht wünscht, stellen wir unsere Bemühungen natürlich ein.« Raidras Verstand schien sich zu verknoten. Von Äpfeln bekomme ich Bauchschmerzen. Pralinen machen mich wach, wenn ich müde werde. Mein Kerzenverbrauch ist ziemlich hoch, weil ich nicht gerne im Halbdunkeln sitze. Und die Schreiben. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sie übersetzt wurden. Er sprach nur Silkarisch und Peeroianisch fließend, außerdem ein wenig Velanisch und Sadarkianisch. Etwas, das ihm am Hof schrecklich peinlich war und das er zu vertuschen versuchte – deswegen hatte er es auch nie jemandem gesagt. Wie hatte sie das bemerkt? Er hatte es für einen glücklichen Zufall gehalten, dass Schreiben an ihn beinahe immer in Silkarisch verfasst waren. »Prinz Raidra ist Euch dankbar für Eure Mühen«, sagte Weregrey und lächelte. »Ihr dürft gehen.« Raidra stand nur stumm daneben, während der Diener sich hastig verbeugte und hinauseilte. Dann suchte er Weregreys Blick, der entnervt seufzte. »Von den ganzen Kleinigkeiten weiß ich wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte. Sie flüstert den Dienern immer wieder etwas zu. Warum ich über den Kuss nicht überrascht bin? Weil sie jeden Tag versucht, dir das Leben etwas leichter zu machen, dir kleine Freuden zu machen.« »Sie hat ein schlechtes Gewissen«, sagte Raidra abwehrend. Weregrey verdrehte die Augen. »Siehst du, deswegen wollte ich mich nicht einmischen. Du würdest die Wahrheit nicht sehen, wenn man sie dir ins Gesicht schlagen würde.« »Und welche Wahrheit wäre das?« »Ich bin nicht derjenige, von dem du diese Worte hören musst, Raidra. Vielleicht würde sie es dir sagen, wenn sie nicht ständig Angst hätte, dass du ihr den Kopf abreißt, wenn sie dir zu nahe kommt.« »Blödsinn! Ich würde ihr niemals etwas tun.« »Gut so. Ich meine, ich finde dich nicht mehr ansatzweise so unausstehlich wie früher, aber Nefertina ist sozusagen meine kleine Schwester. Wenn du sie auch nur schief anschaust, muss ich dich leider in Stücke reißen.« Raidra lachte. »Hast du gerade gesagt, dass wir Freunde sind?« »Das hast du aus all dem, was ich eben gesagt habe, herausgehört?«, fragte Weregrey und verzog gequält das Gesicht. »Irgendetwas stimmt wohl mit deinen Ohren nicht.« »Falls es dich interessiert: Ich finde dich immer noch ätzend.« Weregrey grinste. »Willst du mir noch länger schmeicheln, oder können wir endlich arbeiten? Je eher ich dich los bin, desto eher kann ich zurück in mein Bett.«